Start der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflegereform: Daten und Fakten vom IGES Institut

Die Zahl der Pflegebedürftigen ist Experten zufolge in den vergangenen Jahren stärker gewachsen als es rein demografiebedingt zu erwarten gewesen wäre. Die genauen Einflussfaktoren gelte es noch im Detail zu erforschen. Neben der Lohn- und Preisentwicklung für Pflegeleistungen wird diese Entwicklung jedoch maßgeblich mit für den steigenden Finanzbedarf in der Pflege verantwortlich sein. Darauf wies die Leiterin des Bereichs Pflege am IGES Institut, Dr. Grit Braeseke, in einem Vortrag zur Eröffnung der ersten Sitzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflegereform hin.

Berlin, 7. Juli 2025 (IGES Institut) - So stieg der Anteil pflegebedürftiger Personen an der Gesamtbevölkerung, die sogenannte Pflegeprävalenz, von 4,6 Prozent im Jahr 2017 auf 7,0 Prozent im Jahr 2023. Rein demografisch bedingt wäre hingegen nur ein Anteil von 4,8 Prozent in 2023 zu erwarten gewesen. Am dynamischsten, mit einer Steigerungsrate von 41 Prozent, hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 1 entwickelt.

Herausforderungen nach 30 Jahren Pflegeversicherung

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe (BLAG) „Zukunftspakt Pflege“ tagte zum ersten Mal am 7. Juli in Berlin. Sie setzt sich aus der Bundesministerin für Gesundheit, Nina Warken, und den für die Pflegeversicherung zuständigen Ministerinnen und Ministern sowie Senatorinnen und Senatoren der Länder zusammen und soll Grundlagen für die im Koalitionsvertrag angekündigte große Pflegereform erarbeiten. Ziel des einleitenden Vortrages von Dr. Braeseke war es, die Herausforderungen zu skizzieren, vor denen die Soziale Pflegeversicherung sowohl hinsichtlich der Finanzierung als auch der pflegerischen Versorgung 30 Jahre nach ihrer Einführung steht.

Foto Bund Länder Arbeitsgruppe

Start der konstituierenden Sitzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Zukunftspakt Pflege" am 7. Juli 2025 in Berlin mit der Bundesministerin für Gesundheit, Nina Warken, dem Leiter der Abteilung 4 Pflegeversicherung- und Stärkung des Bundesgesundheitsministeriums, Dr. Martin Schölkopf, und der Bereichsleiterin Pflege am IGES Institut, Dr. Grit Braeseke (von links).

 

Bedarf an Pflegeheimplätzen wird um 50 Prozent steigen

Pflege bedeute derzeit vor allem häusliche Pflege, erläuterte Dr. Braeseke. So werden derzeit 86 Prozent der Pflegebedürftigen, rund 4,9 Millionen Menschen, zu Hause versorgt, während nur 14 Prozent – rund 800.000 - vollstationär in Pflegeheimen betreut werden (Stand 2023). In diesem Zusammenhang wies Braeseke auf Modellrechnungen des IGES Institutes hin, die bis 2060 infolge des zu erwartenden Anstiegs der Zahl der pflegebedürftigen Personen auch einen erheblichen Mehrbedarf an Pflegeheimplätzen erwarten lassen: von derzeit 800.000 auf etwa 1.200.000 (plus 50 Prozent).

Pflegerische Bedarfe werden nicht erfüllt

Die Pflegeexpertin verwies zudem auf zahlreiche Herausforderungen, mit denen Pflegebedürftige und ihre Familien unter den derzeitigen Bedingungen konfrontiert sind, und die, neben der Finanzlage, leistungsseitige Reformen erforderten. So fehle Betroffenen derzeit vor allem genügend fachpflegerische Unterstützung, insbesondere in Notfall- und Krisensituationen. Die Folge seien schnelle und dauerhafte Verschlechterungen der pflegerischen Situation. Zudem seien Braeseke zufolge pflegerische Angebote zu wenig auf die wichtigsten pflegerischen Bedarfe ausgerichtet, es fehle vor allem an Koordinierung, Anleitung und Begleitung.

Pflegepersonal effektiver einsetzen

Nicht optimal sei derzeit ferner der Einsatz der knappen Personalressourcen: Rund 42 Prozent der Pflegebedürftigen, die professionelle Pflegeleistungen in Anspruch nehmen, werden stationär versorgt - dafür werden 66 Prozent des Personals aller Pflegeeinrichtungen eingesetzt. Dagegen erhalten 58 Prozent (1,1 Millionen Menschen) eine ambulante Versorgung durch Pflegedienste, für die lediglich 34 Prozent der Pflegepersonalressourcen zum Einsatz kommen. Es sei daher zu prüfen, ob mit Blick auf die Sicherstellung einer ambulant-häuslichen Versorgung das knappe Pflegepersonal künftig effektiver eingesetzt werden kann.

Prävention in der Pflege noch mehr nutzen

Über allem stehe dabei, Pflegebedürftigkeit zu verhindern oder zumindest deren Fortschreiten zu verzögern, so Braeseke. Denn die Potenziale der Prävention und Rehabilitation würden derzeit in Deutschland nicht hinreichend genutzt. Sie verwies dabei auf die jährlichen Ausgaben für Gesundheitsförderung in der sozialen Pflegeversicherung von rund 30 Millionen Euro, was jedoch nur 0,05 Prozent der Ausgaben sind.

Fokus auf das Präventionspotenzial bei Pflegegrad 1

Gerade das Präventionspotenzial bei Menschen mit Pflegegrad 1 werde noch viel zu wenig genutzt, so Braeseke weiter. Hier gilt es den Betroffenen und ihren Angehörigen frühzeitig durch Beratung und fachliche Anleitung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu vermitteln, dass sich einer weiteren Erhöhung der Pflegebedürftigkeit durch gesundheitsförderliche Lebensstile entgegenwirken lässt. Flankiert werden sollte dies durch geeignete Maßnahmen auf kommunaler Ebene – wie Koordinierungsleistungen und Angebote sozialer Teilhabe zur Verringerung von Einsamkeit sowie barrierearm gestalteter Quartiere.

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