Studie: Jeder zweite Deutsche fühlt sich bei der Arztsuche unzureichend informiert
• Patientenberichte häufig einzige Informationsquelle für Qualität eines Arztes • Fachtagung diskutiert Möglichkeiten für eine bessere Arztsuche • Prototyp für verbraucherfreundliche Arztwahl im Web entwickelt
Berlin, 16. November 2020 (IGES Institut) – Fast jeder zweite Bundesbürger fühlt sich bei der Arztsuche unzureichend informiert. Notwendig erachtete Angaben über Praxen müssen häufig mühsam im Internet zusammengesucht werden oder fehlen ganz. Auch Arztsuchportale empfinden viele als verbesserungsbedürftig. Am hilfreichsten für die Arztwahl sehen Patienten persönliche Empfehlungen und Bewertungen anderer Patienten an. Experten fordern daher, Arztsuchen im Internet verbraucherfreundlicher zu gestalten. Wichtig seien dabei die Urteile anderer Patienten, weil sie oft die einzige Informationsquelle über die Qualität eines Arztes sind. Ein vom IGES Institut entwickelter Prototyp soll als Checkliste eine informierte Arztsuche im Web fördern.
Das ist das Fazit einer digitalen Fachtagung des IGES Instituts in Kooperation mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) am vergangenen Freitag. Auf der Veranstaltung wurde eine vom BMJV geförderte IGES-Studie zum Thema „Transparenz in der vertragsärztlichen Versorgung“ vorgestellt. Darin sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von mehr als 2.000 Personen eingeflossen, die zu ihrer Arztsuche interviewt wurden.
"Das Gesundheitswesen muss sich an den Bedürfnissen und Wünschen der Patientinnen und Patienten ausrichten. Dazu gehört, ihr Recht auf freie Arztwahl auf der Basis von transparenten und aussagekräftigen Qualitätskriterien. Bei diesen Kriterien sollen vor allem auch die von den Patientinnen und Patienten wahrgenommenen Unterschiede in der medizinischen Versorgung berücksichtigt werden“, sagte der Staatssekretär im BMJV, Prof. Dr. Christian Kastrop, zur Eröffnung der Veranstaltung.
Verbraucher können subjektive Patientenberichte interpretieren
„Die Studie zeigt, dass Verbraucher neben persönlichen Empfehlungen gezielt nach offenen Patientenbewertungen im Netz suchen und sich zutrauen, diese subjektiven Eindrücke richtig zu interpretieren“, erläuterte die Studienautorin und Projektleiterin am IGES, Iris an der Heiden. „Freifeld-Eingaben helfen Suchenden vor allem dabei, die persönliche Kompetenz und die Kommunikationsfähigkeit des Arztes zu beurteilen.“ Ergänzend seien objektive Angaben zur fachlichen Qualifikation eines Arztes hilfreich, die über die reine Nennung der Fachausrichtung hinausgehen. Dies leisten etwa Informationen über die Behandlungshäufigkeit von bestimmten Krankheiten.
Auch der Vorstandsvorsitzende der Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK), Dr. Hans Unterhuber, verweist auf die seiner Ansicht nach noch immer unterschätzte Urteilsfähigkeit der Patienten: „Patientenerfahrungen tragen entscheidend dazu bei, die Qualität eines Arztes transparenter zu machen. Das unterstützt andere Patienten bei der Arztsuche und fördert die kontinuierliche Qualitätsverbesserung der ärztlichen Versorgung.“ Dabei müsse die gesamte Patienten Journey inklusive des Zugangs zur ärztlichen Versorgung in den Blick genommen werden.
Mühsame Suche nach Zugangsinformationen zu einer Arztpraxis
Dass nicht nur subjektive und objektive Qualitätsinformationen, sondern auch Angaben zur Praxisorganisation und zum Zugang fehlen, bestätigt die IGES-Studie: „Für Patienten ist es oft sehr aufwändig herauszufinden, ob eine Praxis noch Patienten aufnimmt, wann Termine frei sind und Akutsprechstunden angeboten werden“, erläuterte Dr. Martin Albrecht, Geschäftsführer am IGES. Er verwies auf einen im Rahmen der Studie entwickelten Prototyp für ein verbraucherfreundliches Informationsangebot zur Arztsuche im Web. Dieser beinhaltet neben wichtigen allgemeinen Angaben zum Zugang auch übersichtliche, datierte Freitextbewertungen von Patienten, die Ärzten direkt zugeordnet sind. „Der Prototyp soll Arztpraxen und auch Suchportalbetreibern als Checkliste dienen und Transparenz und Patientensouveränität stärken“, sagte Albrecht.
„In der ambulanten Versorgung sind die Arzt-Patientenbeziehung, die Interaktion und das Miteinander relevante Dimensionen, die Versorgung abbilden. Patientenberichte zur Orientierung sind dabei ein wichtiger Punkt, der Patienten mehr als Statistiken bewegt“, bestätigte Dr. Bernhard Gibis, Leiter des Dezernats Ärztliche Leistungen und Versorgungsstruktur der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Er stimmte zu, dass für die Arztsuche mehr Anstrengungen nötig seien. Neue Lösungen müssten jedoch bürokratiearm sein, am besten durch den Rückgriff auf bestehende Datenpolls wie etwa das Bundesarztregister, und dürften Arztpraxen nicht weiter belasten und Behandlungszeit behindern.
Auf vorhandene Daten über Arztpraxen wie Stamm- oder Qualitätsdaten, um damit Patientenbewertungen zu ergänzen, verwies auch Dr. Stefan Etgeton, Senior Expert Gesundheitspolitik bei der Bertelsmann Stiftung. „Wenn wir das Reservoir an vorhandenen Daten aufmachen, haben wir eine volle Pipeline für eine sachgerechte Information von Patienten.“ Er plädierte zudem dafür, die Bereitschaft von Patienten zur Bewertungen eines Arztbesuches auch von Seiten der Ärzte mehr zu fördern. Diese sei derzeit noch nicht so stark ausgeprägt wie nach einem Krankenhausaufenthalt.
Dr. Ilona Köster-Steinebach, Geschäftsführerin des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V., verwies kritisch auf das Verzerrungspotential von offenen Patientenbewertungen. Für Ratsuchende seien besonders persönliche Geschichten attraktiv, weil sie als Ausdruck von Beziehungsqualität gesehen werden. Problem sei jedoch, dass die eigene Einschätzung immer von der ursprünglichen Erwartung bestimmt ist. „Patientenerfahrungen müssen methodisch so aufbereitet sein, dass sie wirklich valide Informationen zu den patientenrelevanten Faktoren Zugang, Empowerment und Qualität geben – ansonsten sind sie irreführend.“
Den Mehrwert von Patientenbewertungen auch für Ärzte selbst hob Dr. Florian Weiß, Geschäftsführer der Jameda GmbH hervor: „Wenn Erfahrungsberichte von Patienten fair, authentisch und konstruktiv sind, enthalten sie immer auch wertvolles Feedback für Ärzte, das diese für positive Veränderungen in ihrer Praxis nutzen können. Dies fördert langfristig auch die Qualität der Versorgung.“ Ergänzend sei wünschenswert, diesen Berichten objektivierbare Daten zur Seite zu stellen, wie etwa Wartezeiten auf einen Termin oder in der Praxis, den Altersdurchschnitt der Patienten oder auch Fallzahlen bestimmter Behandlungsarten. Diese Daten ließen sich in modernen Praxiskalendern automatisiert erheben und mittels Schnittstellen einfach auf Plattformen wie Jameda veröffentlichen.
Unbefriedigende Arztwahl führt zu Praxiswechseln
Wie wichtig die richtige Arztwahl für eine dauerhafte Behandlung und damit effiziente Gesundheitsversorgung ist, zeigt ein weiteres Befragungsergebnis der Studie: So denkt jeder dritte Patient über einen Arztwechsel nach, weil er mit der Behandlung unzufrieden ist, ein Arzt ihm nicht weiterhelfen konnte oder er eine besser erreichbare Praxis sucht.