Eigenanteilsbegrenzung in der Pflege: Kosten bis zu 11,7 Milliarden Euro im Jahr 2035 möglich
Die Zuschläge der gesetzlichen Pflegekassen zu den Eigenanteilen von Pflegeheimbewohnern sind bereits jetzt höher als erwartet und werden weiter stark steigen. So könnten sich einer Projektion zufolge im Jahr 2035 auf 10,8 Milliarden Euro belaufen. Das Ziel dieser Leistung, Pflegebedürftige vor der Sozialhilfe zu bewahren, wird aber nur teilweise und mit verteilungspolitisch fragwürdigen Nebenwirkungen erreicht. So werden vor allem Versicherte mit niedrigem Einkommen durch Sozialversicherungsbeiträge belastet.
Berlin, 26. Mai 2025 (IGES Institut) - Das ist das Fazit einer Studie des IGES Instituts für den Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV). Dabei geht es um die Leistungszuschläge der gesetzlichen Pflegeversicherung nach § 43c SGB XI, die sie seit 2022 vollstationär versorgten Pflegebedürftigen zahlt, um ihre pflegebedingten Eigenanteile zu begrenzen. Diese Zuschüsse sind nach der Aufenthaltsdauer gestaffelt und betragen zwischen 15 Prozent im ersten Jahr und 75 Prozent ab dem vierten Jahr des Heimaufenthaltes.
Die finanziellen Auswirkungen dieser Maßnahme sind erheblich: Die Ausgaben der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) für diese Zuschüsse haben sich von 3,6 Milliarden Euro im Einführungsjahr 2022 bereits auf rund 6,4 Milliarden Euro im Jahr 2024 erhöht. Dies entspricht etwa 0,36 Beitragssatzpunkten in der Pflegeversicherung.
Nach Projektionen des IGES Instituts werden die Ausgaben für Leistungszuschläge bis 2035 auf 10,8 Milliarden Euro in einem Basisszenario ansteigen, was einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von 4,8 Prozent entspricht. In einem günstigsten Szenario könnten die Ausgaben auf 9,9 Milliarden Euro steigen, in einem ungünstigen Szenario sogar auf 11,7 Milliarden Euro.
Haupttreiber dieses Anstiegs sind die dynamisch steigenden Pflegekosten und die damit verbundenen Eigenanteile. Diese einrichtungseinheitlichen Eigenanteile sind zuletzt deutlich gestiegen und betrugen 2024 durchschnittlich knapp 18.800 Euro je vollstationärem Pflegebedürftigen.
Ziel der Einführung der Leistungszuschläge war es, eine finanzielle Überforderung der vollstationär versorgten Pflegebedürftigen zu vermeiden und Sozialhilfeleistungen, sogenannte Leistungen der Hilfe zur Pflege (HzP), zu verringern. Die Daten zeigen jedoch, dass dieses Ziel nur teilweise erreicht wird. Der Anteil der HzP-Empfänger in vollstationären Einrichtungen ist mit etwa einem Drittel relativ stabil geblieben und lag Ende 2023 bei 32,3 Prozent. Die Anzahl der HzP-Empfänger wird laut der IGES-Projektionen zukünftig sogar leicht zunehmen - von knapp 250.000 im Jahr 2024 auf rund 254.000 im Jahr 2035 im Basisszenario.
IGES-Schätzungen zufolge lagen die vermiedenen Mehrausgaben bei der Hilfe zur Pflege in den Jahren 2022 und 2023 deutlich unter den zusätzlichen Ausgaben für die Leistungszuschläge. Je nach Methode bewegte sich die Differenz zwischen 1,3 und 1,9 Milliarden Euro für 2022 sowie zwischen 1,9 und 3,1 Milliarden Euro für 2023. Das bedeutet, dass die Leistungszuschläge zu den Eigenanteilen nicht dazu beitragen, Sozialhilfe zu vermeiden. Diese mangelnde Zielgenauigkeit resultiert daraus, dass die Leistungszuschläge an alle Pflegebedürftigen in vollstationären Einrichtungen gezahlt werden – unabhängig von ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen – während Zahlungen der HzP eine Bedarfsprüfung voraussetzen.
Die IGES-Experten weisen in ihrer Studie auf verteilungspolitische Probleme der Leistungszuschläge hin: „Aus verteilungspolitischer Sicht ist es bedenklich, dass der durch SPV-Leistungen ermöglichte Vermögens- und Erbenschutz mit einer überproportional hohen Belastung von Menschen mit niedrigem Einkommen durch Sozialversicherungsbeiträge verbunden ist.“
Die Finanzierung über Pflegeversicherungsbeiträge verstärkt diesen Effekt, da sie regressiv wirkt: Durch die Beitragsbemessungsgrenze und fehlende Freibeträge werden Mitglieder mit geringerer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit relativ stärker belastet. Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze sowie – mit Ausnahme der freiwilligen Mitglieder – Kapital- und Vermögenseinkommen werden hingegen nicht zur Finanzierung herangezogen.
Eine weitere Ausweitung der Leistungen, wie sie teilweise politisch diskutiert wird, würde diese verteilungspolitischen Probleme noch verstärken, so die IGES-Experten. Angesichts stark steigender Beitragsbelastungen in der Sozialversicherung insgesamt stelle sich daher die grundsätzliche Frage, inwieweit die als Teilkostenversicherung konzipierte SPV eine Lebensstandardsicherung sein kann oder sollte, die verhindert, dass im Alter vorhandene Einkommen und Vermögen zur Finanzierung von Pflegeleistungen eingesetzt werden.
Die IGES-Autoren verweisen in diesem Zusammenhang auf Angaben des Statistischen Bundesamtes, wonach im Jahr 2023 Vermögen durch Erbschaften und Schenkungen in Höhe von 121,5 Mrd. Euro übertragen wurden. Im Jahr 2023 betrug das mittlere nominale Nettovermögen in der Altersgruppe 65 bis 74 Jahre knapp 212.000 Euro, zeigen Daten der Deutschen Bundesbank.