Unerprobte Erprobung von Hochrisiko-Medizinprodukten

Erheblicher zeitlicher und administrativer Aufwand sowie hohe Kosten: Das sind für Medizinproduktehersteller und Krankenhäuser die derzeit größten Herausforderungen durch die neuen Regelungen für Medizinprodukte.

Berlin, 20. April 2016 (IGES Institut) - Dies erläutern Experten des Berliner IGES Instituts sowie des zur IGES Gruppe gehörenden Beratungsunternehmens Assessment in Medicine - AiM in Fachzeitschriften. Hintergrund sind die jüngsten Entwicklungen bei der Nutzenbewertung von Hochrisiko-Medizinprodukten.

Pflicht für Krankenhäuser zur Datenübermittlung

Seit Beginn des Jahres gilt der Paragraf 137h SGB V. Damit wurde die Pflicht zur Übermittlung von Informationen an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) für Krankenhäuser eingeführt, die erstmalig beim Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) eine NUB-Anfrage für eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode mit einem Medizinprodukt der höchsten Risikoklassen stellen. Der neu geschaffene Paragraph rekurriert dabei auf den Paragraf 137e SGB V: Stellt der G-BA nämlich fest, dass die Erkenntnislage für eine Beurteilung der Methode nicht ausreicht, entscheidet er über die Durchführung einer Erprobung, um die fehlenden Erkenntnisse zu generieren.

Betroffene Medizinproduktehersteller werden „ins Benehmen“ gesetzt und damit einbezogen. Krankenhäuser, welche die neue Methode unter Anwendung des Medizinprodukts hoher Risikoklasse erbringen wollen, werden zur Teilnahme an der Erprobung verpflichtet. Die Kosten für die wissenschaftliche Begleitung und Auswertung tragen die Hersteller.

Kosten in Millionenhöhe realistisch

Den Autoren zufolge seien bei einer mittelgroßen klinischen Studie mit 100 bis 500 Teilnehmern Kosten in Höhe von rund 3.000 bis 5.000 Euro je Teilnehmer realistisch. Zudem sei das gesamte Antrags- und Bewertungsverfahren inhaltlich und zeitlich aufwendig. Den Zeitbedarf für Vorbereitung einer Erprobung bis zum Studienbeginn schätzen sie auf knapp drei Jahre.

Umgekehrt müsse der G-BA aber binnen sechs Monaten über eine Erprobungsrichtlinie bei den Hochrisikoprodukten entscheiden, erläutern die Autoren. Vorausgesetzt, der G-BA habe zuvor festgestellt, dass eine neue Methode „Potenzial" habe. Die hierzu erlassene Verfahrensordnung des G-BA wurde allerdings auf Grund „durchgreifender rechtlicher Einwände" des Bundesgesundheitsministeriums zu einzelnen Regelungen bislang nur zum Teil genehmigt (Stand Mai 2016). Dies führe den IGES-Experten zufolge zu großer Unsicherheit bei Herstellern und Krankenhäusern.

Verzögerte Einführung innovativer Medizinprodukte

Erfahrungen mit der neuen Regelung nach Paragraf 137e SGB V lägen bisher kaum vor, schreiben die Autoren. Sie rechnen aber damit, dass (Hochrisiko-)-Medizinprodukte künftig langsamer in die deutsche Versorgungslandschaft gelangen. Produkte kleiner und mittelgroßer Hersteller könnten möglicherweise aus Kostengründen überhaupt nicht eingeführt werden. Große Bedeutung käme künftig der möglichst früh einsetzenden wissenschaftlichen Begleitung neuer medizintechnischer Produktentwicklungen zu.

Thomas Kersting, Michael Weißer, Unerprobte Erprobung – Neue Realitäten: die Nutzenbewertung für Medizinprodukte nach dem § 137h SGB V, iZKF: Deutsche Zeitschrift für Klinische Forschung, Innovation und Praxis, 20. Jahrgang, 02-2016, April 2016, 61-64