Studie beziffert die finanziellen Folgen des dualen Systems der deutschen Krankenversicherung

Eine neue Studie beziffert die Kosten des geteilten deutschen Krankenversicherungsmarktes für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Danach gehen der GKV jährlich 2,4 Milliarden Euro verloren, weil ihr privat Versicherte als besser verdienende und gesündere Mitglieder fehlen. Dies entspricht einem Beitragseffekt von 0,2 Prozentpunkten oder durchschnittlich 24 Euro der jährlichen Beitragszahlungen der GKV-Mitglieder.

Titel der Studie: Geteilter Krankenversicherungsmarkt - Risikoselektion und regionale Verteilung der Ärzte

Hintergrund: Die Zweiteilung des deutschen Krankenversicherungsmarktes in private und gesetzliche Krankenversicherung (GKV und PKV) wird immer wieder kontrovers diskutiert. Eine zentrale Frage hierbei ist, welche Kosten durch diese Zweiteilung entstehen und inwieweit gesetzlich Versicherte hierdurch belastet werden.

Fragestellung: In welchem Ausmaß zeigen sozio-ökonomische und gesundheitliche Unterschiede zwischen GKV- und PKV-Versicherten eine Risikoselektion im Krankenversicherungssystem? Welche Finanzierungseffekte für die GKV gehen mit der Segmentierung des Krankenversicherungsmarktes einher? Zeigen sich Risikoselektionseffekte zu Lasten der GKV-Versicherten auch beim Zugang zur ambulanten ärztlichen Versorgung?

Methode: Darstellung des Gesundheitszustandes von PKV- und GKV-Versicherten auf Basis von Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), Quantifizierung der Kosten der Segmentierung des Krankenversicherungsmarktes für die GKV durch Mikrosimulation eines hypothetischen Einbezugs der PKV-Versicherten in die GKV auf Basis geschätzter GKV-Beiträge und Leistungsausgaben, Untersuchung von Zusammenhängen zwischen regionaler Verteilung niedergelassener Ärzte und von PKV-Versicherten mithilfe eines multivariaten, linearen Regressionsmodells.

Ergebnisse: PKV-Versicherte sind gesünder und haben ein um 57 Prozent höheres Einkommen als GKV-Versicherte. In der PKV ist der Anteil älterer Versicherter (55-75 Jahre) höher als in der GKV (34% vs.24%). Im gegenwärtigen dualen Krankenversicherungsmarkt entgehen der GKV – bei unveränderten Ärztehonoraren – Netto-Beitragseinnahmen zwischen 2,4 und 4,3 Milliarden Euro (je nach Annahme zur Leistungsinanspruchnahme). Das entspricht einem Beitragssatzeffekt zwischen 0,2 und 0,3 Prozentpunkten. Bezogen auf jedes GKV-Mitglied bedeutet dies durchschnittlich 48 Euro pro Jahr, also für Mitglieder und Arbeitgeber jeweils etwa 24 Euro.

Autoren: Dr. Richard Ochmann, Dr. Martin Albrecht, Guido Schiffhorst
    
Auftraggeber: Bertelsmann Stiftung

Schlagwörter: GKV, PKV, Risikoprofile, Risikoselektion, Beitragseinnahmen, Leistungsausgaben, Arztverteilung

Berlin, 17. Februar 2020 (IGES Institut) - Das zeigen rechnerische Schätzungen des IGES Instituts, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung entstanden sind. Sie beinhalten umfassende Analysen mit aktuellen Daten zur unterschiedlichen Krankheitslast (Morbidität) zwischen GKV- und PKV-Versicherten und deren Folgen für den Krankenversicherungsmarkt. Dies geschieht über die modellhafte Annahme, dass es nur noch GKV-Versicherte gäbe. Zudem untersuchten die IGES-Experten mögliche Effekte des dualen Systems auf die Arztdichte.

Vor allem die fehlenden höheren Beitragseinnahmen von PKV-Mitgliedern wirken sich aus. Kämen sie der GKV zugute, brächte dies ein Plus von jährlich 38,6 Milliarden Euro. Das entspräche einem Anstieg der GKV-Einnahmen um 19 Prozent im Vergleich zum Status Quo. Hauptursache dafür sind die um durchschnittlich 57 Prozent höheren Einkommen der privat Versicherten gegenüber den GKV-Versicherten. So verdiente ein PKV-Versicherter 2016 im Schnitt rund 37.900 Euro, ein GKV-Mitglied 24.150 Euro.

Davon abzuziehen sind allerdings auch die Leistungsausgaben für PKV-Versicherte, je nach Leistungsinanspruchnahme in Höhe von bis zu 30 Milliarden Euro. Dabei sind die durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben für 90 Prozent der privat Versicherten im Vergleich zu gesetzlich Versicherten geringer, weil sie einen besseren Gesundheitszustand haben. Sie sind seltener pflegebedürftig, erwerbsgemindert oder schwerbehindert. Sie sind zudem weniger von weit verbreiteten Krankheiten wie Gelenkerkrankungen, Depressionen oder chronischen Rückenschmerzen betroffen. An Diabetes etwa leiden 6,9 Prozent der privat Versicherten, aber 8,5 Prozent der GKV-Versicherten. 17 Prozent der PKV-Versicherten, aber 23 Prozent der GKV-Versicherten sind mindestens einmal im Jahr im Krankenhaus.

Das Besondere ist jedoch der in der PKV im Vergleich zur GKV größere Anteil älterer Versicherter in den Altersgruppen zwischen 55 und 75 Jahren. Diese führen altersbedingt zu höheren Gesundheitsausgaben als Jüngere. Das ist auch der Grund, warum privat Versicherte mit 30 Milliarden Euro relativ hohe Leistungsausgaben erzeugen, auch wenn sie insgesamt betrachtet gesünder sind.

Unter dem Strich gehen der GKV durch das Fehlen der besser verdienenden PKV-Versicherten trotz zusätzlicher Mehrausgaben für deren Gesundheitsversorgung rein rechnerisch rund neun Milliarden Euro jährlich verloren. Dies entspricht – je nach Rechenszenario – einem Effekt zwischen 0,6 und 0,7 Beitragssatzprozentpunkten. Berücksichtigt man jedoch Finanzmittel, mit denen die Honorarverluste der Ärzte durch den Wegfall der Privatpatienten kompensiert werden müssten, blieben von den neun Milliarden Euro netto - konservativ gerechnet - 2,4 Milliarden Euro übrig. Das wiederrum entspricht einem Beitragssatzeffekt von rund 0,2 Prozentpunkten.

Studienautor Dr. Richard Ochmann erläutert die Ergebnisse und bricht sie auf das einzelne Kassenmitglied runter: „Von den rechnerischen Mehreinnahmen bleibt aufgrund der zu erwartenden Leistungsausgaben und der angenommenen Honorarkompensation für Ärzte ein relativ geringes Entlastungspotenzial für die GKV. Bezogen auf jedes GKV-Mitglied entspricht dies durchschnittlich 48 Euro pro Jahr, also für Mitglieder und Arbeitgeber jeweils etwa 24 Euro.“

Das duale Krankenversicherungs-System steht auch in Zusammenhang mit der regionalen Verteilung von Ärzten. So konnten die IGES-Experten exemplarisch für Bayern zeigen, dass es in Städten und Landkreisen mit höheren Anteilen von Privatversicherten unter Einbezug ausgewählter Einflussfaktoren mehr niedergelassene Hausärzte gibt. Diese Ergebnisse bestätigen vorangegangene Untersuchungen zu dieser Frage. Die IGES-Autoren weisen jedoch darauf hin, dass der Zusammenhang eher gering ausfällt und es sich um keinen kausalen, sondern lediglich um einen statistischen Zusammenhang handele. So könnten auch noch andere Einflussfaktoren das Niederlassungsverhalten beeinflussen, die jedoch in dieser Analyse nicht einbezogen werden konnten.