Simulation: 2030 eine von drei Kliniken in der Region Köln und Umgebung ausreichend

Eine gut erreichbare und qualitativ hochwertige Krankenhausversorgung wäre in vielen Regionen Deutschlands zukünftig auch mit deutlich weniger Kliniken gesichert. Das zeigen Modellrechnungen des IGES Instituts für das Jahr 2030 am Beispiel der Metropolregion Köln und Umland. Dort könnten unter bestimmten Bedingungen in zehn Jahren zwei Drittel der derzeit 45 Kliniken wegfallen, ohne dass dadurch Patienten deutlich längere Anfahrtszeiten in Kauf nehmen müssten oder Notfälle nicht schnell genug und nicht fachgerecht behandelt werden könnten.

Berlin, 15. Juli 2019 (IGES Institut) - Die Simulationsberechnungen entstanden im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Für die Prognose wählten die IGES-Experten exemplarisch den Großraum Köln und seine umgebenden Landkreise mit aktuell 45 Krankenhäusern, davon 22 in Köln. Diese Modellregion umfasst wie viele andere Gebiete im Bundesgebiet städtische und ländliche Flächen und ist dadurch infrastrukturell herausfordernd.

Mehr ambulante Behandlungen statt Klinikaufenthalte

Für die dort lebenden rund 2,3 Millionen Rheinländer schätzten die Wissenschaftler den stationären Behandlungsbedarf im Jahr 2030. Sie rechneten dafür die Fälle mit Diagnosen raus, die als vorrangig ambulant behandelbar oder durch bessere Prävention als vermeidbar gelten. Fachleute sprechen von ambulant-sensitiven Krankenhausfällen (ASK). Bundesweit ist IGES-Berechnungen zufolge von jährlich rund vier Millionen ASK-Fällen auszugehen, rund ein Fünftel aller Krankenhausfälle derzeit. Bezogen auf die Modellregion verringerte sich durch den Abzug der ASK-Fälle die Zahl der Krankenhausfälle von derzeit rund 574.000 auf etwa 461.000 im Jahr 2030. Zwar wird die Alterung der Bevölkerung künftig zu mehr Behandlungsbedarf führen. Rechnet man jedoch eine stärkere Ambulantisierung der medizinischen Versorgung dagegen, könnte sich die Zahl der Krankenhausfälle dennoch um etwa elf Prozent bis ins Jahr 2030 verringern. Um dieses Einsparpotenzial zu erreichen, sind allerdings weiterhin große organisatorische und strukturelle Anstrengungen nötig, um die ambulanten Versorgungsstrukturen auszubauen.

Kliniken bleiben für Notfallbehandlungen erreichbar

Zunächst ermittelten die IGES-Experten, wie viele der bestehenden Standorte geringstmöglich nötig sind, damit die Bewohner auch künftig innerhalb von maximal 30 Minuten per Auto zur nächstgelegenen Klinik gelangen können. Diese 30-Minuten-Mindesterreichbarkeit wurde gewählt, um Notfälle wir Herzinfarkt oder Schlaganfall rechtzeitig behandeln zu können. Für die Simulation setzten die Wissenschaftler voraus, dass – anders als heute – alle Krankenhäuser ein einheitliches Regelversorgungsangebot mit den wichtigsten medizinischen Fachgebieten wie etwa Innere Medizin, Chirurgie oder Geburtshilfe anbieten, kleinere Häuser und Fachkliniken also wegfallen. Hochspezialisierte Versorgungsangebote wie die Herzchirurgie, Neurochirurgie oder die Nuklearmedizin sollten dagegen an Standorten der Maximalversorgung innerhalb von maximal 60 Minuten erreichbar sein.

Mit diesen Vorgaben würden im Jahr 2030 nur noch 14 der aktuell 45 Standorte als Regelversorger benötigt. Vier dieser Standorte würden zusätzlich die Funktion eines Maximalversorgers übernehmen. Auf das Stadtgebiet der Millionenstadt Köln würden vier Kliniken entfallen. Die mittlere Fahrzeit würde 17 Minuten zum nächsten Regelversorger und 24 Minuten zum nächsten Maximalversorger betragen. Zum Vergleich: Gegenwärtig beläuft sich die mittlere Fahrzeit zu einem der 38 somatischen Krankenhäuser 16 Minuten.

Würden die angestrebten Anfahrtszeiten per Pkw nur noch für 95 Prozent der Bewohner gelten, halbiert sich die erforderliche Zahl der Krankenhausstandorte noch weiter von 14 auf sieben Regelversorger und zwei Maximalversorger.

Höhere Wirtschaftlichkeit, bessere Qualität und Personalausstattung

Die Konzentration auf weniger Standorte würde trotz eines angenommenen Fallzahlrückgangs zu größeren Kliniken mit mehr Betten und Behandlungsfällen führen. Davon erwarten sich Fachleute sowohl eine höhere Wirtschaftlichkeit als auch eine bessere Behandlungsqualität und Personalausstattung. Aber selbst mit größeren Kliniken kann es - wenn auch seltener - weiterhin sein, dass Häuser bestimmte Mindestmengen für einzelne Leistungen nicht erreichen, die aber laut wissenschaftlicher Literatur für genügend Behandlungserfahrung als sinnvoll gelten.

In einer zweiten Simulation untersuchten die Wissenschaftler, wie sich die Erreichbarkeit der Krankenhäuser und ihre Größe verändern, wenn 2030 weiterhin nur noch Häuser mit einer bestimmten Ausstattung an der Versorgung teilnehmen würden. Exemplarisch wählten sie dafür die Notfallversorgung von Herzinfarkten. Aktuelle Krankenhausdaten deuten darauf hin, dass derzeit 12 Standorte Herzinfarktpatienten im Notfall qualifiziert behandeln können. Da sich viele dieser Kliniken vor allem um die Stadt Köln herum befinden, würde sich die Erreichbarkeit der Krankenhäuser in den ländlichen Regionen deutlich verschlechtern: Fast ein Zehntel der Bevölkerung müsste länger als 30 Minuten zum nächstgelegenen Krankenhaus fahren. Daher müssten parallel zur Konzentration der Krankenhausversorgung künftig die erforderlichen ambulanten Versorgungsangebote ausgebaut werden. Auch müssten vor allem in ländlichen Regionen die Rettungsketten optimiert werden, um Patienten schneller in zentrale Krankenhäuser bringen zu können. Ferner könnten telemedizinische Anwendungen helfen, medizinische Leistungen in peripher gelegene Kliniken zu bringen.

Die Studie zeigt, dass eine deutliche Konzentration der Krankenhausversorgung in der Modellregion sinnvoll und möglich ist, um künftig eine flächendeckende und qualitativ hochwertige stationäre Versorgung zu schaffen. Welche konkreten Kliniken Krankenhausplaner künftig weiterhin für nötig halten, hängt davon, wie stark sie bei der Planung jeweils die Faktoren Erreichbarkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit der stationären Versorgung gewichten. Die Berechnungen sollen dabei unterstützen und Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen.

Hintergrund für die Simulationsberechnungen sind die seit längerem diskutierten Probleme der stationären Versorgung in Deutschland. Dazu gehören die im internationalen Vergleich hohe Anzahl von Krankenhäusern und Behandlungsfällen, die vergleichsweise langen stationären Verweildauern von Patienten aber auch Defizite in der Behandlungsqualität und Ausstattung der Kliniken.

Mehr Informationen zum Vorgehen und den Erkenntnissen der Studie "Zukunftsfähige Krankenhausversorgung":

Die Studie untersucht, wie die Krankenhausversorgung im Jahr 2030 in einer Modellregion auch mit weniger Kliniken flächendeckend und qualitativ hochwertig erfolgen kann. Als Beispiel diente die Stadt Köln mit ihren umgebenden Landkreisen. Für sie ermittelten IGES-Experten, wie viele und an welchen Standorten Krankenhäuser im Jahr 2030 mindestens benötigt würden, damit Bevölkerung die Kliniken auch in Notfallsituationen noch in ausreichender Zeit erreichen kann. Anhand von Simulationen wurde hierfür die rechnerisch optimale Lösung ermittelt. Es wurden hierfür nur bereits heute existierende Krankenausstandorte einbezogen, also keine Neubauten berücksichtigt (kein „Grüne-Wiese-Modell“).

Für die Folgenabschätzung wurden mehrere Annahmen getroffen, darunter vor allem, dass im Jahr 2030 rund ein Fünftel der heutigen Krankenhausfälle ambulant behandelt werden kann.

Darüber hinaus zeigt die Studie, wie sich die Erreichbarkeit von Krankenhäusern unter der Annahme verändert, dass im Jahr 2030 nur eine Auswahl der heutigen Standorte, die bestimmte Anforderungen an die Strukturqualität erfüllen, weiterhin an der Versorgung teilnimmt. Als beispielhafte Anforderung wurde hierfür die Vorhaltung von Kapazitäten für eine fachgerechte Notfallbehandlung von Herzinfarkten zugrunde gelegt. Es wurden die Standorte ausgewählt, für die sich anhand verfügbarer Daten zeigen lässt, dass sie aktuell diese Anforderung erfüllen.

Nein, die Studie stellt keine Streichliste für aktuelle Krankenhausplanungen dar, sondern skizziert Eckpunkte einer möglichen zukünftigen Krankenhaus-Landschaft. Ein erreichbarkeitsbasiertes Szenario zeigt, welche der bestehenden Standorte minimal erforderlich sind, um eine wohnortnahe Versorgung sicherzustellen.

Das zweite Szenario prüft beispielhaft, wie die künftige Krankenhauslandschaft aussehen würde, wenn nur noch Krankenhäuser, die gegenwärtig schon über einen Linksherzkatheter für die Notfallbehandlung von Herzinfarktpatienten verfügen, an der Versorgung teilnehmen würden.

Bei der Prüfung, ob ein Standort weiter für die stationäre Krankenhausversorgung erforderlich ist, muss jedoch eine Vielzahl von weiteren Kriterien berücksichtigt werden. Dazu gehören etwa das bestehende Leistungsangebot der Häuser, anstehende Investitionsbedarfe, die Qualität der Versorgung, bauliche Erweiterungsmöglichkeiten und die verkehrstechnische Anbindung. Welche konkreten Kliniken Krankenhausplaner künftig weiterhin für nötig halten, hängt davon ab, wie stark sie bei der Planung jeweils die Faktoren Erreichbarkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit der stationären Versorgung gewichten. Die Berechnungen sollen dabei unterstützen und Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen.

Zudem betonen die IGES-Autoren, dass es nicht darum geht, die Standorte vollständig zu schließen. Vielmehr sollten dort ambulante Versorgungsstrukturen weiter ausgebaut werden, die für eine Verlagerung von bisher stationär behandelten Fällen zwingend erforderlich sind.

Die Studie fokussiert sich auf diese beiden Erkrankungen, weil sie stellvertretend für eine Reihe von weiteren schweren Erkrankungen stehen, deren Behandlung zu den zentralen Kompetenzen und Aufgaben eines Krankenhauses gehört und für deren unverzügliche Versorgung flächendeckende Kapazitäten vorzuhalten sind.

Daneben behandeln die Krankenhäuser – in viel höherer Anzahl – Patienten mit weniger zeitkritischen oder schwerwiegenden Erkrankungen. Die Studie geht jedoch davon aus, dass gut ein Fünftel dieser (vorrangig leichteren) Fälle künftig bei einer verbesserten ambulanten Versorgung und Prävention nicht mehr stationär behandelt werden müsste. Für die verbleibenden Fälle sind die Krankenhausverweildauern mittlerweile derart kurz und die Verkehrsinfrastruktur so gut ausgebaut, dass eine Fahrzeit zum nächsten Regelversorger von maximal 30 Minuten (bei einem Großteil der Bevölkerung dürfte sich auch weiterhin deutlich darunterliegen) als vertretbar angesehen wird, wenn dadurch zugleich die Qualität und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung gewährleistet sind.

Die Simulationen zeigen zunächst, dass eine deutliche Konzentration der Krankenhausversorgung sowohl nötig als auch möglich ist: Nötig zum einen, weil gegenwärtig viele Krankenhäuser zu klein für eine wirtschaftliche und qualitativ hochwertige Versorgung sind. Nötig zum anderen, weil viele Krankenhausfälle durch eine verbesserte ambulante Versorgung und Prävention vermieden werden könnten. Möglich, weil sich die Erreichbarkeit des nächstgelegenen Krankenhauses auch bei einer deutlichen Standortreduzierung im Mittel nur unwesentlich verschlechtert - also Menschen nicht wesentlich länger zu einer Klinik unterwegs sind als es bereits heute der Fall ist. Das zeigen die Entfernungsberechnungen im Rahmen der Simulation.

Die Studie berücksichtigt aber auch, dass dieser Umbau nicht schlagartig erfolgen kann, sondern – unter anderem wegen des erforderlichen Aufbaus ambulanter Kapazitäten – nur schrittweise und über einen Zeitraum von mehreren Jahren.

Zudem wird deutlich, dass die Erforderlichkeit einzelner Krankenhäuser nicht isoliert betrachtet werden kann. Krankenhausplanung muss immer regional ausgerichtet sein, auch über Kreis- oder sogar Bundesland-Grenzen hinweg.

Eine Berechnung, wie viele Krankenhäuser in Deutschland für eine wohnortnahe Versorgung erforderlich sind, war nicht Gegenstand der IGES-Studie. Die Ergebnisse der Simulationen dürften sich vom Grundsatz her aber auch auf eine Reihe anderer Regionen übertragen lassen, in denen Metropole, Umland und ländliche Peripherie zusammenspielen. Allerdings wird es eine Reihe von Regionen geben, in denen die Krankenhausdichte heute schon geringer ist und damit ein größerer Anteil der bestehenden Krankenhäuser benötigt wird, um eine wohnortnahe Versorgung sicherzustellen.

Was jedoch für ganz Deutschland berechnet wurde, ist das Ausmaß, in dem Krankenhausfälle durch eine verbesserte ambulante Versorgung und verstärkte Präventionsmaßnahmen vermieden werden könnten: Bundesweit gibt es - wenn auch regional in verschiedenem Ausmaß – ein erhebliches Potenzial, stationären Behandlungsbedarf zu verringern und damit die Krankenhausversorgung insgesamt wirtschaftlicher zu gestalten. Auch der in der Studie dargestellte Mangel an Fachärzten in Krankenhäusern ist nicht auf die Untersuchungsregion beschränkt, sondern betrifft grundsätzlich ganz Deutschland.

Wenn die Erreichbarkeit bei der Planung eine besondere Rolle spielt: Nein. Dann würden vor allem (kleinere) Krankenhäuser in größeren Städten nicht mehr benötigt. Die Versorgung im ländlichen Raum wäre dann gefährdet, wenn bei der Auswahl der künftig noch zu erhaltenden Krankenhäuser vorrangig die Häuser zum Zuge kämen, die jetzt schon hinreichend groß und gut ausgestattet sind, um eine wirtschaftliche und qualitativ hochwertige Versorgung anbieten zu können. Im Rahmen einer umfassenden Konzentration und Verringerung der Krankenhauskapazitäten kann es daher in bestimmten Einzelfällen auch notwendig sein, Krankenhäuser im ländlichen Raum besonders zu fördern.