Strukturen und Finanzierung der neuologischen und psychiatrischen Versorgung

Ein Gutachten liefert eine empirisch fundierte Darstellung des Behandlungsgeschehens im Bereich der ambulanten Versorgung von Patienten mit neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen. Ausgewertet wurde der Zeitraum der Jahre 1994 bis 2004. Die Analysen entstanden für den Berufsverband Deutscher Nervenärzte e.V. (BVDN), den Berufsverband Deutscher Neurologen e.V. (BDN) und den Berufsverband Deutscher Psychiater e.V. (BVDP).

Die Psychiatrie-Reform der 70er Jahre führte zu einer Enthospitalisierung insbesondere von nicht mehr krankenhausbehandlungsbedürftigen Langzeitpatienten, der sich in einem substantiellen Abbau von stationären Bettenkapazitäten und einer deutlichen Reduktion der durchschnittlichen Verweildauer im psychiatrischen Bereich manifestierte. Von den niedergelassenen Nervenärzten, Psychiatern und Neurologen wird vielfach kritisiert, dass die frei gewordenen Finanzmittel aus dem Bettenabbau in psychiatrischen Anstalten bzw. Krankenhausabteilungen nicht entsprechend zum Aufbau ambulanter Versorgungsstrukturen genutzt worden seien. Auch das Vergütungssystem steht in der Kritik, das spezifische Leistungsprofil in der Versorgung neurologisch bzw. psychisch Kranker nicht adäquat abzubilden und so zu einer Benachteiligung der neurologisch-psychiatrisch tätigen Ärzte im Vergleich zu anderen Fachgruppen zu führen.

Mindestens 20% der Krankheitskosten können auf neuro-psychiatrische Erkrankheiten zurückgeführt werden

Das vorliegende Gutachten hat zum Ziel, zumindest für einen Teil der angesprochenen Diskussionspunkte eine analytische Grundlage zu liefern und damit zu Fortschritten der Erkenntnis über die Situation der neurologisch-psychiatrischen Versorgung und ihrer Finanzierung beizutragen. Die Darstellung der Entwicklung des neurologisch-psychiatrischen Versorgungsbedarfs anhand verfügbarer epidemiologischer Indikatoren sowie vorliegender Schätzungen der Kosten neuro-psychiatrischer Erkrankungen verdeutlicht, dass neurologisch-psychiatrische Erkrankungen zunehmen, und zwar absolut als auch relativ zur überwiegenden Mehrheit anderer Krankheiten. Neuro-psychiatrische Krankheiten verursachen substanzielle direkte und gesamtwirtschaftliche Kosten. Ihr Anteil an den gesamten Krankheitskosten kann auf mindestens 20 % veranschlagt werden. Relativ bruchstückhaft ist hingegen das Wissen über die Situation und vor allem die Effizienz der Versorgung neurologisch-psychiatrischer Krankheiten.

Zentrale Ergebnisse

Vor diesem Hintergrund wurden Abrechnungsdaten der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit dem Ziel einer empirisch fundierten Darstellung des Behandlungsgeschehens im Bereich der ambulanten Versorgung von Patienten mit neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen ausgewertet. Zentrale Ergebnisse dieser Analyse für den Zeitraum der Jahre 1994 bis 2004 waren:

  • Es bestanden deutliche regionale Unterschiede in der Arztdichte für Neuro-logen, Nervenärzte, Psychiater sowie ärztliche und psychologische Psycho-therapeuten. Hervorzuheben ist hier die unterdurchschnittliche Arztdichte in den neuen Bundesländern und die überdurchschnittliche Arztdichte in den Stadtstaaten.
  • Auch Hausärzte erbrachten einen relevanten Anteil an der neurologisch-psychiatrischen Versorgung (20 % des neurologisch-psychiatrischen Leis-tungsvolumens). Dieser Anteil blieb in seiner Höhe und seiner Struktur über den betrachteten Zeitraum in etwa stabil.
  • Auf den Leistungsbereich der Neurologie und Psychiatrie entfielen 28 % des Leistungsvolumens und ca. 25 % des Honorarvolumens der gesamten neuro-psychiatrischen Versorgung.
  • Betrachtet man den gesamten Bereich der neuro-psychiatrischen Versorgung, so erbrachten 21 % der Ärzte (Nervenärzte, Neurologen, Psychiater sowie Kinder- und Jugendpsychiater) 45 % der Leistungsmenge (in Punkten), erhielten 41 % des Honorars und behandelten 78 % der Fälle.
  • Die Fallzahl pro Arzt lag bei den Nervenärzten, Neurologen, Psychiatern sowie Kinder- und Jugendpsychiatern insgesamt bei 2.638 im Vergleich zu 198 bei den ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten und ist in-nerhalb von 10 Jahren um 600 gestiegen.
  • Die durchschnittliche Leistungsmenge je Fall war in den Fachgruppen der Nervenärzte, Neurologen, Psychiater sowie Kinder- und Jugendpsychiater mit 1.490 Punkten wesentlich geringer als bei den ärztlichen und psycholo-gischen Psychotherapeuten mit 6.400 Punkten. Ebenso wies das Honorar je Fall deutliche Unterschiede zwischen den Nervenärzten, Neurologen, Psy-chiatern sowie Kinder- und Jugendpsychiatern insgesamt (56 Euro) und den ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten (281 Euro) auf.
  • Das Honorar je Arzt war in den Fachgruppen der Nervenärzte, Neurologen, Psychiater sowie Kinder- und Jugendpsychiater höher (147.500 Euro) als in den Fachgruppen der ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten (55.700 Euro). Allerdings hat sich das Honorar je Arzt für die Fachgruppen der Nervenärzte, Neurologen, Psychiater sowie Kinder- und Jugendpsychiater insgesamt seit Jahren entgegen dem Trend in der gesamten Vertragsärz-teschaft kontinuierlich verringert.

Eignet sich die Diagnose und das Leistungsspektrum der neuro-psychiatrischen Versorgung zur Bildung von Fallpauschalen?

Hinsichtlich der Einführung eines neuen Vergütungssystems im ambulanten Sektor mit einer Vereinheitlichung der Auszahlungspunktwerte sollte die Neustrukturierung der neuro-psychiatrischen Leistungen des EBM sowie deren Punktbewertung vor Inkrafttreten sehr genau evaluiert werden. Dies gilt insbesondere für die ab dem Jahr 2011 geltenden diagnosebezogenen Fallpauschalen, da hier zu prüfen ist, ob sich das Diagnose und Leistungsspektrum der neuro-psychiatrischen Versorgung zur Bildung von Fallpauschalen eignet. Auch sollte untersucht werden, ob sich die unterschiedliche Morbidität der Patienten einer Praxis im Bereich der neurologischen und psychiatrischen Versorgung anhand der Kriterien Alter und Geschlecht in geeigneter Weise darstellen lässt, wie es mit Einführung der Regelleistungsvolumen ab dem Jahr 2009 vorgesehen ist.