Investoren-MVZ in Bayern: höhere Honorarumsätze als Einzelpraxen

MVZ in Bayern rechnen je Arztgruppenfall im Vergleich zu Einzelpraxen ein um 5,7 Prozent höheres Honorarvolumen ab. Bei MVZ, die in Besitz von Finanzinvestoren sind, sind es 10,4 Prozent mehr. Vor allem bei MVZ der Fachrichtungen Augenheilkunde, Gynäkologie und Fachinternisten sind diese Steigerungen des Honorarvolumens zu beobachten. Generell spielen MVZ in Bayern eine immer größere Rolle. So wurde im vierten Quartal 2019 fast jeder zehnte Behandlungsfall von einem MVZ erbracht. Besonders dynamisch entwickelte sich die Anzahl der von Investoren betriebenen MVZ. So war jedes zehnte MVZ Ende 2019 im Besitz von Finanzinvestoren.

Berlin, 12. April 2022 (IGES Institut) - Das ist das Ergebnis einer Studie des IGES Instituts für die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB). Dafür werteten die IGES-Wissenschaftler Daten von rund 178 Millionen Behandlungsfällen von knapp 12 Millionen Patienten aus den Jahren 2018 und 2019 aus. Die Untersuchung sollte prüfen, ob Unterschiede im Leistungsgeschehen in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und insbesondere in MVZ in Besitz von Private Equity Gesellschaften (PEG-MVZ genannt) im Vergleich zu Einzelpraxen und Berufsausübungspraxen bestehen. Zuvor hatten die IGES-Wissenschaftler bereits die Rolle von Investoren-MVZ in der Zahnmedizin untersucht.

Zwischen 2018 und 2019 stieg der Anteil der Hauptbetriebsstätten in der Betriebsform eines MVZ in der ambulanten Versorgung von 2,8 Prozent auf 3,3 Prozent. Insgesamt stehen 536 MVZ rund 12.600 Einzelpraxen gegenüber. Auch der Anteil der Ärzte, die in MVZ tätig sind, stieg von 10,7 Prozent auf 12,4 Prozent. Parallel dazu legte der Anteil der MVZ-Behandlungsfälle an allen ambulanten Behandlungsfällen auf 9,2 Prozent zu und der entsprechende Anteil am Honorarvolumen wuchs auf 10,7 Prozent im letzten Quartal 2019. Zu einem MVZ gehören oft mehrere Praxisstandorte. So gezählt ergeben sich 980 MVZ-Standorte. 93 von ihnen gehören zu PEG-MVZ, was einem Anteil von rund zehn Prozent aller MVZ-Praxen entspricht.

Besonders große Bedeutung haben MVZ im Bereich Augenheilkunde, Orthopädie und (Unfall-)Chirurgie sowie in der fachinternistischen Versorgung. In der Augenheilkunde werden inzwischen rund 28 Prozent der Arztgruppenfälle in MVZ versorgt, bei den anderen beiden Fachrichtungen sind es um die 20 Prozent.

Auffällig ist das höhere Honorarvolumen, welches MVZ abrechnen. Betrachtet man in Bezug auf Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen gleiche Patienten und gleiche Behandlungsanlässe, fällt das Honorarvolumen über alle untersuchten Fachrichtungen hinweg in MVZ um 5,7 Prozent höher aus als in Einzelpraxen. Bei MVZ im Eigentum von Investoren sind es 10,4 Prozent mehr je Arztgruppenfall. Besonders viel mehr erwirtschaften MVZ der Fachrichtungen Augenheilkunde und Gynäkologie, deren Honorarvolumen rund 16 Prozent höher ist als das von entsprechenden Ärzten aus Einzelpraxen.

Die IGES-Experten haben auch untersucht, inwieweit sich die Tätigkeit mehrerer Fachrichtungen „unter einem Dach“ – wie sie für MVZ charakteristisch ist – auf das Leistungsgeschehen der mitversorgenden Ärzte auswirkt. Hier zeigt sich, dass etwa bei „Hausärzten als steuernde Ärzte“ in MVZ fast 20 Prozent mehr Mitversorgungsleistungen abgerechnet werden, als es in hausärztlichen Einzelpraxen der Fall ist. Mehr als 60 Prozent der zusätzlichen Leistungen entfallen dabei auf mitversorgende Fachärzte innerhalb des gleichen MVZ.

Nach Einschätzung der IGES-Studienautoren weisen MVZ und PEG-MVZ in einigen Fachrichtungen bereits eine erhebliche Bedeutung auf. Das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, den Zugang von Finanzinvestoren in die ambulante vertragsärztliche Versorgung zu begrenzen, werde demnach bisher verfehlt, so die Autoren.

Stellungnahme von den Studienautoren Hans-Dieter Nolting (Geschäftsführer) und Thorsten Tisch (Wissenschaftlicher Mitarbeiter):

Die Ärzte-Zeitung (ÄZ) hat sich am 08. April 2022 in einem Bericht sowie einem Kommentar mit dem kurz zuvor durch die KV Bayerns veröffentlichten Gutachten des IGES Instituts befasst. Die ÄZ stützt ihre Argumentation dabei auf sachlich falsche Deutungen der publizierten Ergebnisse.

Als ein zentrales Ergebnis hat das Gutachten ermittelt, dass die Gesamtgruppe der MVZ im Vergleich zu Einzelpraxen im Durchschnitt um 5,7 % höhere Honorarvolumina je Arztgruppenfall abrechnen. Sofern sich ein MVZ im Eigentum von Finanzinvestoren befindet („PEG-MVZ“), werden aber um 10,4 % höhere Honorarvolumina abgerechnet.

Die ÄZ meint nun, dass dem Gutachten zu entnehmen sei, dass MVZ in vertragsärztlicher Trägerschaft ein noch höheres Honorarvolumen abrechneten als die MVZ im Eigentum von Private Equity Gesellschaften (PEG) und anderen Finanzinvestoren. Hier liegt ein Missverständnis in Bezug auf die Ergebnisse vor, die in Tabelle 3 (S. 21) der Kurzfassung (Tabelle 15, S. 76 der Langfassung) dargestellt sind.

Das Merkmal „PEG-MVZ“ bezeichnet die Eigentümerschaft, wogegen im oberen Teil von Tabelle 3 eine Differenzierung der MVZ nach der Trägerschaft erfolgt. MVZ unterschiedlicher Kategorien von Trägern können komplett oder teilweise im Eigentum von Finanzinvestoren sein. Mit anderen Worten: PEG-MVZ sind in den Ergebnissen des oberen Teils von Tabelle 3 in mehreren Zeilen enthalten. Deshalb macht es keinen Sinn, die „PEG-MVZ“ mit einzelnen Trägerkategorien im oberen Teil der Tabelle zu vergleichen.

Die gleiche Fehldeutung liegt auch bei den Ausführungen der ÄZ zu den praxisbezogenen Behandlungskosten je Patient vor.

Methodisch belastbar ist entweder der Vergleich zwischen MVZ unterschiedlicher Trägerschaft (vgl. Tabelle 3, S. 21, oberer Teil) oder zwischen MVZ mit unterschiedlicher Eigentümerschaft. In dem Gutachten sind die Ergebnisse für MVZ im Eigentum von Finanzinvestoren und allen MVZ ausgewiesen (Tabelle 3, S. 21, unterer Teil). Nicht explizit dargestellt sind die Ergebnisse nur für die MVZ, die sich nicht im Eigentum von Finanzinvestoren befinden.

Dieses Ergebnis liefern wir hier nach: Bei den MVZ im Eigentum von Finanzinvestoren liegt das Honorarvolumen je Arztgruppenfall um 10,4 Prozent (O/E-Ratio: 1,104) über den Einzelpraxen, bei den MVZ mit anderen Eigentümern liegt es nur um 5,3 Prozent (O/E-Ratio: 1,053) über dem Vergleichswert.

Ein weiteres methodisches Missverständnis liegt bei der Interpretation der in Tabelle 1 (S. 15) der Kurzfassung („Kennzahlen der Praxisstruktur in Q4 2019“) dargestellten Ergebnisse vor. Die ÄZ beobachtet richtig, dass dort für die PEG-MVZ ein geringerer Fallwert als für die MVZ insgesamt ausgewiesen ist (Honorar je Behandlungsfall: PEG-MVZ 82,75 €, MVZ Gesamt 95,91 €). Im Methodenteil des Gutachtens wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich hier – ebenso wie bei allen anderen Ergebnissen in Abschnitt 3.1 der Kurzfassung des Gutachtens– um rein deskriptive
Ergebnisse handelt. Das bedeutet: Die zwischen den Betriebsstättenarten unterschiedliche Zusammensetzung nach ärztlichen Fachgruppen sowie nach Patientenklientelen ist nicht berücksichtigt.

Das ist in Bezug auf die PEG-MVZ besonders relevant, weil sich das Niveau der Fallwerte zwischen den Fachgruppen stark unterscheidet und sich Finanzinvestoren ganz überwiegend nur in bestimmten Fachgruppen engagieren. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen und um möglicherweise bestehende Unterschiede in den Morbiditätsstrukturen zu berücksichtigen, wurden in dem Gutachten aufwändige statistische Analysen durchgeführt, die zu den Vergleichen auf Grundlage der O/E-Ratios führen.

Die von den IGES-Autoren vorgenommene Einordnung der Befunde ist daher keineswegs „merkwürdig“, wie die ÄZ meint, sondern ergibt sich stringent aus den dargestellten empirischen Ergebnissen. Die Schlussfolgerungen der ÄZ beruhen dagegen auf einer Verwechslung bzw. unzulässigen Vermischung der Merkmale Trägerschaft bzw. Eigentümerschaft eines MVZ.