Häussler: Deutschlands direktiver Umgang mit Corona war nur kurzfristig erfolgreich

Eine kritische Bilanz der deutschen Corona-Maßnahmen hat der Leiter des IGES Instituts, Professor Bertram Häussler gezogen. „Deutschland hatte ein sehr direktives und starres Modell, das kurzfristig, aber nicht mittel- bis langfristig erfolgreich war“, sagte Häussler auf einem Fachkongress der Zeitschrift „Monitor Versorgungsforschung“ in Berlin.

Berlin, 11. Dezember 2023 (IGES Institut) - Deutschlands Weg sei es gewesen, die natürliche Durchseuchung zu bremsen und Sterbefälle zu vermeiden. „In Deutschland wurden Todesfallzahlen über lange Phasen der Pandemie geradezu fetischisiert“, so Häussler auf der Online-Veranstaltung mit dem Titel „Pandemie-Impact auf die Versorgung“, die das IGES Institut mit konzipiert hatte. Häussler weiter: „Wenn die Todesfallzahlen stiegen, wurde vor Lockerungen gewarnt, wenn sie fielen, ebenfalls. Deutschland war der Meister der strengen Maßnahmen.“

Diese Politik spiegelt sich darin wider, dass Deutschland über lange Zeit eines der Länder mit den höchsten Werten auf dem „Stringency-Index“ war, einem Maß, das während der Pandemie von der Universität Oxford entwickelt worden ist. Mit der Strategie der Strenge sei man jedoch nur kurzfristig zu Beginn der Pandemie erfolgreich gewesen, so Häussler. Im weiteren und längerfristigen Verlauf landete Deutschland bei den gesundheitlichen und ökonomischen Effekten im internationalen Vergleich jedoch auf einen der hinteren Plätze.

Deutschland fällt bei Exzess-Mortalität im Lauf der Pandemie zurück

So zeige die sogenannte Exzess-Mortalität einen zweigeteilten Verlauf. Die Exzess-Mortalität beziffert die Zahl der Todesfälle in einem bestimmten Zeitraum, die die erwartete Zahl der Todesfälle übersteigt. Dabei werden alle Todesursachen einbezogen. In den beiden ersten Pandemiejahren 2020 und 2021 hätte Deutschland mit seinen strengen Maßnahmen etwa im Vergleich zu Schweden eine geringere Exzess-Mortalität gezeigt. Ab 2022 habe sich dies jedoch umgekehrt und sie lag höher als in Schweden, erläuterte Häussler.

Mit Blick auf die Zahl der Krankenhausfälle sprach Häussler von einer kontraintuitiven Entwicklung. So sei die Zahl der Krankenhausfälle nicht durch zusätzliches Krankheitsgeschehen infolge des Coronavirus gestiegen, sondern gefallen. 2019 gab es laut Häussler knapp 20 Millionen jährliche stationäre Fälle. In den Pandemie-Jahren 2020 bis 2022 verringerte sich dies auf rund 17 Millionen Fälle, weil der Schwerpunkt auf die Intensivbehandlung gelegt und Operationen verschoben worden seien.

Hinterer Rang bei wirtschaftlicher Entwicklung während der Pandemie

Häussler präsentierte auch Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung: In Bezug auf den Einbruch des Bruttoinlandsproduktes war der Einbruch im zweiten Quartal 2020 in Deutschland mit elf Prozent zwar deutlich heftiger als während der Lehman-Krise 2009, berichtete der Gesundheitsökonom. Sechs Quartale später war Deutschland unter den wichtigsten Vergleichsländern auf einem hinteren Rang, was die wirtschaftliche Erholung betrifft.

"Sollte uns zum Nachdenken bringen"

Die Pandemie habe zudem tiefgreifende soziale und psychologische Auswirkungen gehabt, sichtbar an einer erhöhten Rate an psychischen Problemen wie Angst und Depression aufgrund von Isolation oder Angst vor dem Virus und wirtschaftlicher Unsicherheit. Zudem hätten Veränderungen im täglichen Leben wie etwa Telearbeit und Online-Schulunterricht ebenfalls erhebliche soziale Auswirkungen gezeigt, führte Häussler aus. Ferner sei es zu einer starken Spaltung und Konflikterzeugung zwischen übereifrigen Befolgern und kategorischen Gegnern der Maßnahmen gekommen. „Der nur kurzfristige Erfolg des deutschen Modells des Pandemie-Managements sollte uns zum Nachdenken bringen, was wir künftig anders machen sollten“, so Häusslers Fazit.

IGES selbst hatte während der Pandemie den IGES Pandemie Monitor gestartet, der umfassende und differenzierte Analysen rund um das Infektionsgeschehen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bot.

Der Fachkongress fand am 7. Dezember online statt. Ein zweiter Teil ist für den 18. Januar 2024 vorgesehen. Audiomitschnitte und Vorträge der Referentinnen und Referenten sind auf den Internetseiten der "Zeitschrift Monitor Versorgungsforschung" zu finden.

Zu den Referentinnen und Referenten gehören unter anderem die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Sabine Dittmar (SPD), Professor Dr. Matthias Schrappe (ehem. Direktor des Instituts für Patientensicherheit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn), Professor Dr. Holger Pfaff (Direktor des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR) und Direktor des Zentrums für Versorgungsforschung Köln (ZVFK) der Universität zu Köln.), Professor Dr. Martin Möckel (Ärztlicher Leiter Notfallmedizin/zentrale Notaufnahmen, Charité Berlin) und die Professorin Dr. Maria Blettner (Direktorin des Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), Universität Mainz).