Weißbuch Radioligandentherapie: Zukunftssicherung für die Nuklearmedizin in Deutschland

Die Nuklearmedizin in Deutschland befindet sich im Wandel: Vom traditionellen Diagnostikfeld entwickelt sie sich zunehmend zu einer tragenden Säule der Therapie schwerer Erkrankungen – insbesondere in der Onkologie. Eine Schlüsselrolle nimmt dabei die Radioligandentherapie ein. Vor diesem Hintergrund analysiert ein neues Weißbuch, wie das Gesundheitssystem strukturell und organisatorisch weiterentwickelt werden muss, um den Zugang zu diesen innovativen Therapieformen sicherzustellen und zukünftigen Versorgungsbedarfen adäquat zu begegnen.

Weissbuch Radioligandenthearpie

Weißbuch "Radioligandentherapie in Deutschland"

Berlin, 06. Juni 2025 (IGES Institut) Das Weißbuch „Radioligandentherapie in Deutschland“ entstand am IGES Institut in Zusammenarbeit mit renommierten Experten aus klinischer Praxis, Kassen- und Patientenvertretung. Das Unternehmen Novartis Pharma hat das Projekt finanziell unterstützt.

Bei der Radioligandentherapie (RLT) binden radioaktive Substanzen direkt an Tumorzellen und zerstören sie zielgenau durch ihre Strahlung. Derzeit laufen zahlreiche klinische Studien zum Einsatz bei verschiedensten onkologischen Indikationen wie etwa Lungen-, Nieren- oder Brustkrebs. Das Weißbuch hebt hervor, dass insbesondere die dynamische Studienlandschaft und der technologische Fortschritt in der Bildgebung mittelfristig zu einer deutlich erweiterten Indikationsbreite führen dürften.

Strukturelle Engpässe gefährden Versorgungsausbau in der Nuklearmedizin

Diesem absehbaren wachsenden Angebot an neuen innovativen Therapien steht ein abnehmendes Angebot an stationären Behandlungskapazitäten gegenüber: Zwischen 2010 und 2022 sank die Zahl nuklearmedizinischer Betten in deutschen Kliniken um rund 20 Prozent. Laut Weißbuch entspricht das im Jahr 2022 einem bundesweiten Mittelwert von 0,9 Betten pro 100.000 Einwohner – ein Wert, der weit hinter vergleichbaren Fachdisziplinen zurückbleibt. Infrastrukturelle Engpässe, zunehmende regulatorische Anforderungen im Strahlenschutz sowie ein Fachkräftemangel verschärfen die Situation. Das Weißbuch betont daher die Notwendigkeit gezielter Fördermaßnahmen auch im Rahmen der jüngste Krankenhausreform, um stationäre Behandlungskapazitäten zu erhalten und bei Bedarf auszubauen.

Hürden beim Zugang: Erstattung und regionale Unterschiede

Ein zentrales Hindernis für eine flächendeckende Versorgung mit RLT ist der eingeschränkte Zugang zur notwendigen Diagnostik, insbesondere zur PET/CT, erläutert das Weißbuch. Diese Untersuchungen sind für Therapieplanung und Verlaufskontrolle unverzichtbar, werden jedoch häufig nur stationär erstattet. Zudem sind die eingesetzten Radiotracer nicht durchgängig erstattungsfähig. Auch regional bestehen erhebliche Unterschiede im Angebot – insbesondere in ländlichen und strukturschwächeren Gebieten.

Ein Lösungsansatz liegt in der Stärkung der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV), beschreibt das Weißbuch. Die ASV fungiert als Schnittstelle zwischen der klassischen ambulanten und der stationären Versorgung. Sie wurde konzipiert, um Patienten mit komplexen, schwerwiegenden oder seltenen Erkrankungen eine spezialisierte, interdisziplinäre Behandlung zu ermöglichen. Allerdings sind die ASV-Strukturen bislang lückenhaft, vor allem im Norden und Osten Deutschlands. Der hohe bürokratische Aufwand und intransparente Zulassungskriterien gelten laut Weißbuch als zentrale Hemmnisse für den Ausbau.

Frühzeitige Weichenstellung nötig

Das Weißbuch zeigt, dass die zunehmende Bedeutung der Nuklearmedizin – insbesondere in der Onkologie – eine vorausschauende strategische Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen erfordert. Es nennt als zentrale Entwicklungsfelder die Bereiche Aufklärung, sektorübergreifende Zusammenarbeit, Vergütung und Kapazitätsausbau und gibt praxisorientierte Handlungsempfehlungen, geordnet nach kurz-, mittel- und langfristiger Umsetzbarkeit. Während etwa Aufklärung und fachübergreifender Wissensaustausch rasch durch bestehende Strukturen gestärkt werden können, erfordert der Ausbau stationärer Behandlungskapazitäten umfassendere Planungs- und Investitionsprozesse. Entscheidend ist laut Weißbuch, dass alle Maßnahmen frühzeitig angestoßen werden, um die notwendige Transformation rechtzeitig umzusetzen und die Potenziale in der Nuklearmedizin künftig voll nutzen zu können.

Über das „Weißbuch Radioligandentherapie in Deutschland“:

Das Werk informiert über den aktuellen Stand der nuklearmedizinischen Diagnostik und Therapie und gibt Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen. Es entstand in Zusammenarbeit mit Experten aus klinischer Praxis, Krankenkassen und Patientenvertretung. Herausgeber ist das IGES Institut. Das Unternehmen Novartis Pharma GmbH hat das Projekt finanziell unterstützt.

IGES_Grafik_Krankheiten_2025_lo.png
IGES_Grafik_Nuklearkliniken_2025_lo.png

IGES Institut - Das Wissensunternehmen: Von der Information zur Innovation

Das 1980 gegründete IGES Institut ist der Kern der IGES Gruppe und heute eines der größten privatwirtschaftlichen Forschungs- und Beratungsunternehmen für Fragen europäischer Gesundheitssysteme, des Marktzugangs sowie der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Seit Gründung wurde in mehr als 6.000 Projekten zu Fragen des Zugangs zur Versorgung, ihrer Qualität, der Finanzierung sowie der Gestaltung des Wettbewerbs im Bereich Gesundheit gearbeitet. IGES gründet seine Arbeit auf hohe Sach- und Methodenkompetenz und bietet in allen Arbeitsgebieten einen breiten Zugang zu eigenen und zu Datenquellen anderer Institutionen.