Experten: mehr Augenmaß beim Umgang mit Endpunkten in der Onkologie nötig

Auf die Sonderrolle Deutschlands bei der Bewertung onkologischer Arzneimittel haben Experten hingewiesen. Konkret geht es um die Zeit des Stillstands einer Krebserkrankung als Studienparameter, der hierzulande nicht in die Nutzenbewertung einfließt. Am Beispiel des fortgeschrittenen Brustkrebses sehen sie dadurch Versorgungsrisiken und machen Lösungsvorschläge.

Berlin, 13.02.2018 (IGES Institut) - Der Endpunkt „Zeit des Stillstands der Krebserkrankung“, medizinisch „progressionsfreies Überleben“ (engl. progression free survival, PFS), sei besonders in klinischen Studien mit frühen Therapielinien bedeutsam, erläutert der frühere Leiter des IGES-Bereichs HTA und Value Strategy, Hans-Holger Bleß, in der Fachzeitschrift „Market Access & Health Policy“. Er komme zum Einsatz, weil andere Parameter wie das Gesamtüberleben bei frühen Krebsbehandlungen oft weit in der Zukunft lägen, sodass sie im Rahmen einer Zulassungsstudie nicht oder nur schwer erfassbar seien.

International gäbe es jedoch Unterschiede, welche Bedeutung Behörden dem PFS bei der Nutzenbewertung beimessen. „Eine Verlängerung des PFS wird von der europäischen Zulassungsbehörde EMA per se als Nutzen für Patienten angesehen“, so Bleß. Deutschland sei hingegen europaweit das einzige Land, in dem die Einrichtungen der Nutzenbewertung – das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) – das PFS durchgehend ablehnten. Ein Tumorwachstum, das allein mit bildgebenden Verfahren erhoben werde, sei nach Auffassung des IQWiG nicht patientenrelevant, da es nicht zwingend mit einer Verschlechterung der Symptomatik einhergehe, schreibt Bleß über die IQWiG-Argumentation.

Progression verhindern als Therapieziel bei Brustkrebs

Am Beispiel des metastasierten Brustkrebses werde jedoch die medizinische Bedeutung des Krankheitsfortschreitens deutlich. Leitlinien zufolge sei die Behandlung betroffener Patientinnen darauf ausgerichtet, die Progression so lange wie möglich aufzuhalten und die Symptome zu verbessern. Ein Fortschreiten verschlechtere zudem die Lebensqualität, berichtet Bleß über wissenschaftliche Studien zu diesem Thema.

Fehlende Anerkennung des PFS habe inzwischen dazu geführt, dass einer neuen Wirkstoffgruppe zur Behandlung des fortgeschrittenen Brustkrebses kein Zusatznutzen anerkannt wurde. Dies könne jedoch zu einem Verlust von Therapieoptionen führen, weil Hersteller ihre Produkte wieder vom Markt nehmen könnten, so Bleß. „Bei den Antidiabetika mit einer vergleichbaren Problematik bei der Bewertung von Studienendpunkten hat dies dazu geführt, dass fast die Hälfte der seit 2011 nutzenbewerteten Präparate nicht mehr auf dem deutschen Markt verfügbar ist.“

PFS unter bestimmten Voraussetzungen anerkennen

Ziel müsse eine Nutzenbewertung „mit Augenmaß“ sein. Die vorhandenen Regularien ließen es sogar zu, das PFS unter bestimmten Voraussetzungen als eigenständigen, patientenrelevanten Endpunkt für die Morbidität anzuerkennen. Diese Position geht auch aus einem von IGES und Novartis erarbeiteten Positionspapier hervor, das namhafte Onkologen aus Versorgung und Fachgesellschaften wissenschaftlich begleitet haben. Als Voraussetzung für eine PFS-Anerkennung nennen die Autoren etwa eine nur eingeschränkte Möglichkeit, die Gesamtüberlebenszeit in Zulassungsstudien zu erheben. Auch sollte die Verlangsamung der Krankheitsprogression ein in Leitlinien erklärtes Therapieziel sein. Ferner müssten neue Substanzen gegenüber Folgetherapien ein günstiges Sicherheitsprofil aufweisen.